Das Leben auf Depenau um 1700 nach dem Roman

Constantia von Cosel und August der Starke
von Gabriele Hoffmann Lübbe (1983)

S 36: .. "In der Gutsküche herrscht der Koch über Mägde und Küchenjungen. Für den Tisch der Herrschaft brät und kocht er täglich Fleisch: Rinderbraten, Wild, Geflügel. Der Küchengarten liefert Erbsen, Bohnen, Kopfsalat, Gurken. Auch Kräuter läßt die Mutter ziehen, Petersilie, Thymian, Majoran. Aus den Teichen kommen lebende Fische in die Küche, Hechte, Karpfen, Karauschen, Barsche, Schleie. Sogar im Graben um das Herrenhaus hat der Vater Fische aussetzen lassen, und in der Schwentine liegen Reusen für den Aalfang. Der Koch gibt süße und gesalzene Speisen zusammen, wie es in Holstein üblich ist, Birnen mit Bohnen und Speck oder Pflaumen mit Schweinebraten. Constantia ißt süße Milch mit Zwiebackkringeln, Pflaumenkuchen, Fliedersuppe.

Für das Gesinde kochen die Mägde dreimal am Tag wäßrige Gerstengrütze, und manchmal gibt es Heringe oder Roggenbrot dazu; aber darum braucht Constantia sich nicht zu kümmern.

Die Mutter zeigt ihr das Bierbrauen und lehrt sie, Branntwein zu brennen. Branntwein ist ein Allheilmittel der Gutsfrauen gegen Krankheiten, und Constantia lernt, wofür es gut ist, wenn er nicht im Übermaß gebraucht wird. Er hilft gegen Gicht und Reißen, wenn man die schmerzenden Stellen damit einreibt. Wer regelmäßig am Morgen etwas Branntwein trinkt, dem sterben die Würmer, die ihm um Herz, Leber und Lunge sind. Wer das Gesicht und den Kopf mit ein wenig Branntwein einreibt, der ist immer schön, und der Branntwein stärkt ihm den Sinn und den Verstand. Die Mutter lehrt Constantia, medizinische Kräutertees zu bereiten und Wasser zu destillieren für die Gesichtspflege.

Constantia lernt auch, Zibeben auszubacken, die herrlichen getrockneten Weinbeeren, die aus Damaskus kommen und so viel Geld kosten. Sie macht einen dünnen Teig mit Wein und färbt ihn gelb mit Safran. Sie steckt die Zibeben auf kleine Spieße, taucht sie in den Teig und backt sie in siedendem Olivenöl aus. Im Spätherbst, wenn draußen der Nebel über Äckern und Seen liegt und schillernde Wassertropfen an den kahlen Ästen der Buchen hängen, machen Constantia und die Mutter Marzipan. Constantia häutet Mandeln und stößt sie mit Rosenwasser und kostbarem Zucker aus Westindien in einem Mörser. Sie formt die Masse zu runden Törtchen und läßt sie in einer Kupferpfanne mit geschlossenem Deckel auf kleinem Feuer backen. Sind die Marzipantörtchen fertig, bestreut sie sie mit Koriander und Arnis.

An diesen Nebeltagen kommt es vor, daß Constantia eine große Unruhe auf dem Hof bemerkt. Der Verwalter und die Aufseher rennen zu den Pferdeställen, der Vater holt eilig Gewehr und Pistolen, und die Knechte lassen die Hunde aus den Zwingern. Dann sieht sie, wie der Vater mit seinen Bewaffneten vom Hof reitet. Leibeigene haben den Nebel zur Flucht benutzt, und noch in der Nacht hört Constantia das Bellen der Hunde, die die Gejagten in den Wäldern aufspüren, und die Schüsse der Menschenjäger.

Die leibeigenen Gutsuntertanen versuchen, in die Städte zu fliehen, nach Lübeck oder Hamburg, oder nach Dithmarschen ins freie Bauernland. Stadtluft macht den frei, der sich ein Jahr und einen Tag in der Stadt aufhält. Als es in den Städten nicht mehrt genügend Arbeit gibt, erhöhen die Bürger die Wartezeiten: für verheiratete auf zehn Jahre, für unverheiratete auf einunddreißig Jahre, sechs Wochen und drei Tage. Doch das schreckt die Leibeigenen auf den Gütern nicht.

Dann kommen sie zurück im Morgengrauen, der Vater und die Aufseher auf ihren müden Pferden, die eingefangenen Leibeigenen, denen Blut von Peitschenschlägen über die Gesichter rinnt, schleppen sich gefesselt und an die Sättel gebunden hinterher, die knurrenden Hunde auf ihren Fersen. Der Torhüter schließt auf, die Pferde traben über den Hof und über die Zugbrücke, die Männer steigen ab. Sie treiben die Leibeigenen in den Keller, ins Gefängnis. Der Vater läßt sie am Hals in Eisen schließen und an den Füßen so, daß sie jämmerlich liegen müssen, und läßt sie durchpeitschen. Die schlimmste Strafe ist das Reiten auf dem hölzernen Pferd im Hof. Das Pferd ist ein Holzgestell mit einem scharfkantigen Rücken. Der Vater läßt den Gefangenen Gewichte an die Füße binden.

Der Vater ist erbittert über die widersetzlichen Untertanen, die in seinen Augen schuld sind, daß es auf Depenau nicht vorwärtsgehen will. Mit allen Mitteln versuchen er und die Mutter, das Gut hochzubringen. Sie haben Semb, Anna Margarethes Gut in Norwegen, verkaufen müssen, um Depenau halten zu können, das alte Stadthaus der Brockdorff in Plön und den Meierhof Tramm. In den ersten Jahren haben sie Ochsen gemästet, dann haben sie auf Milchvieh und Getreideanbau umgestellt.

Mit dem Butter- und Käsemachen hat der Vater wenig zu tun. Ein Holländer, wie der neue Berufsstand heißt, pachtet die Gutskühe für jeweils ein Jahr und verarbeitet die Milch auf eigene Rechnung. Der Vater stellt Futter und Ställe, liefert Feuerholz, Roggen und Gerste. ...."

S. 91 Die Stimmung auf Depenau ist schlecht. Das Verhältnis zwischen Gutsherrn und Leibeigenen hat sich weiter verschärft. Der Vater ist noch eigensinniger und strenger geworden. Nur einen Leibeigenen hat er frei gelassen, es ist schon drei Jahre her: Hans Christoffer Rieck bat um Erlaubnis, eine Freie zu heiraten. Der Vater gestattete es ihm unter der Bedingung, "daß von den Kindern, so er in solcher Ehre hoffentlich zeugen wird, Eines und Zwar welches mir oder meinen Erben davon am besten anstehet und wählen und haben wollen, es sey ein Knabe oder Mädgen Leib Eigen sein sollen".